Dagmar R. Rehberg  - wortgeflechte
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Blutsbande ... dicker als Wein

 

Miriam, ein Mädchen aus gutem Hause, ist fünfzehn, als sie von ihrem Nachhilfelehrer schwanger wird. Anders als ihre Familie findet sie sich schnell mit ihrem Schicksal ab. Doch nach der Geburt des Kindes bleibt sie allein zurück. Denn ihre Eltern wenden sich von ihr ab, ihr Freund lässt sie im Stich und von ihrer Tochter bleiben ihr nur das kleine Grab und diese merkwürdig lebendigen Träume …

 

 
 

 

Blutsbande ... dicker als Wein:

Erscheinungstermin: Januar 2014
328 Seiten
Preis: 9,90 Euro
ISBN: 978-1495215629

  

auch als Ebook im Kindle-Shop für Kindle und Ipad

zum Preis von 2,99 €

  

Leseprobe:

Es war mitten im Hochsommer. Die Sonne schien so heiß, als wolle sie die Erde versengen und dennoch fühlte Miriam sich eiskalt. Die Kälte in ihrem Inneren suchte sich einen Weg nach draußen. Auf ihren Armen bildete sich eine Gänsehaut und das Blut schien ihr in den Adern zu gefrieren, als sie die wenigen Meter vom Auto bis zur Haustür zurücklegte. Zu Hause. Was bedeutete schon „zu Hause“? Ein Haus in dem ihr Bett stand und sie das Recht hatte, an den Mahlzeiten teilzunehmen? Noch immer sprach Miriam kein Wort. Jeden Tag war Vera für kurze Zeit im Krankenhaus gewesen und zweimal hatte auch ihr Vater reingeschaut. Unentwegt hatte ihre Mutter auf sie eingeredet, ihr belanglose Geschichten erzählt: Der Untermieter ihrer Nachbarn habe nun endlich den Gartenzaun gestrichen – das sah ja aber auch aus! –, der Sohn von den Nachbarn gegenüber liefe nur noch mit zerrissenen Hosen durch die Gegend, als würde sein Vater nicht genug verdienen, etwas Anständiges kaufen zu könnten – und das in dieser Wohngegend – und der Dackel der Nachbarn drei Häuser weiter habe acht Junge geworfen. Toll, selbst dieser dämliche Köter kann das besser als ich. Sie hatte geredet und geredet, doch Miriam hatte nur mit einem halben Ohr zugehört und dabei starr aus dem Fenster gesehen. Nur ein einziges Mal hatte Vera sie direkt angesprochen:
„Wir haben ihn immer noch nicht erreicht, aber seinen Eltern eine Nachricht zukommen lassen.“ Und nach kurzer Pause hatte sie Miriams Hand genommen und leise gesagt: „Es wird schon wieder.“
Es wird schon wieder! Als könnte ihr irgendjemand ihr Baby wiedergeben. Sie vermisste sie so. Sie fühlte sich nackt und leer, so unendlich allein. Natürlich hatte sie auch Angst vor der großen Verantwortung gehabt, die auf sie zugekommen war. Doch sie hatte fest daran geglaubt, Daniel würde ihr zur Seite stehen. Wo war er? Warum meldete er sich nicht? Langsam stieg Miriam die drei Stufen zur Eingangstür hoch. Alles schien ihr fremd zu sein. Konnte sie hier jemals wieder zu Hause sein? War sie hier jemals zu Hause gewesen? Automatisch fuhr sie mit einer Hand über ihren Bauch. Er war noch immer rund und wabbelig. Und dennoch fühlte er sich so leer an, als hätte man nicht nur ihr Baby, sondern auch ihre sämtlichen Eingeweide herausgerissen. Und ihre Seele. Langsam sah sie sich um. Ohne es richtig zu realisieren hatte sie das Haus betreten und war die Treppe hinaufgegangen. Nun stand sie in ihrem Schlafzimmer. Es sah aus wie früher. Die Wiege, die in den letzten Wochen am Fußende ihres Bettes gestanden hatte, war verschwunden. Keine Spur ihrer Tochter, als habe sie nie existiert. Nur der Wochenfluss zeugte davon, das war alles nicht nur ein Traum gewesen. So stand sie eine Weile in Schweigen versunken, als plötzlich ihre Mutter in der Tür stand.
„Kommst du? Das Essen ist fertig.“
„Wo ist sie?“
Erschrocken darüber, nach zwei Wochen des Schweigens Miriams Stimme wieder zu hören, fuhr Vera herum.
„Wer?“
„Alice.“ Miriams Stimme klang merklich ungeduldig. Wer denn sonst?
„Auf dem Südfriedhof. Ich zeige es dir morgen.“
Geschockt fuhr Miriam zu ihrer Mutter herum und starrte sie wütend an.
„Ihr habt sie schon beerdigt?!“
„Ja selbstverständlich.“
„Ich habe sie nicht ein einziges Mal gesehen. Und ihr beerdigt sie ohne mich? Ohne es auch nur mit mir zu besprechen?“
Veras Blick war ebenso kalt wie ihre Stimme:
„Ich hatte nicht den Eindruck, überhaupt irgendetwas mit dir besprechen zu können. Außerdem, du musst das alles vergessen. Wir haben getan, was wir für das Beste für dich hielten.“
Miriam schoss das Blut ins Gesicht und der immer noch auf Vera gerichtete Blick war hasserfüllt:
„Sie ist meine Tochter! Wie könnte ich sie je vergessen?! Du hast ja keine Ahnung und das Schlimmste daran ist, es interessiert dich auch nicht! Du interessierst dich mehr für die blöden Klamotten vom Nachbarsjungen als für meine Gefühle. Und das war schon immer so. Andere Leute waren dir immer wichtiger als ich. Ich bin für dich nichts weiter als ein Statussymbol, ausgestellt wie eine von deinen albernen Nippesfiguren!“
„Aber …“
„Lass mich in Ruhe! Und mische dich nie wieder in meine Angelegenheiten!“
Entschlossen lief Miriam an ihrer Mutter vorbei und verließ das Haus. Scheinbar ziellos ging sie durch die Gegend, bis sie schließlich vor Daniels Haustür stand. Nun, wo sie schon dabei war, konnte sie auch das klären. Ungeduldig klingelte sie an der Tür und nahm nur am Rande ihres Bewusstseins wahr, dass dort nicht mehr der vertraute Name stand. Eine junge Frau öffnete und sah sie verständnislos an.
„Ja bitte? Kennen wir uns?“
„Nein. Wo ist Daniel?“ Miriam merkte sehr wohl, wie unhöflich sie klang, doch das war ihr egal.
„Der ist vor drei Tagen ausgezogen.“
„Was?“, fragte sie verwirrt. „Weißt du wohin?“ Das konnte doch alles nicht wahr sein!
„Nein, leider nicht.“
Langsam wandte Miriam sich zum Gehen. Er hatte sie tatsächlich verlassen. Ohne ein Wort. Ratlos und von tiefer Traurigkeit erfasst ging sie nach Hause. Dort angekommen griff sie zu ihrem Notizbuch, suchte darin und wählte schließlich eine Nummer.
„Mathies!“, antwortete eine freundliche Frauenstimme.
„Hallo, hier ist Miriam. Miriam Mommsen.“
Für kurze Zeit herrschte Schweigen.
„Miriam! Wie geht es dir?“
„Ganz toll!“ Die Ironie war nicht zu überhören und Frau Mathies sagte leise:
„Es tut mir Leid, Mia. Wirklich.“ Miriam glaubte es ihr sogar. Was konnte sie auch dafür? Trotzdem fragte sie nicht gerade freundlich:
„Wo ist Daniel?“ Wieder folgte ein bedrückendes Schweigen, bevor seine Mutter antwortete:
„Mia, ich kann mir vorstellen, wie schwierig das für dich ist und ich würde dir wirklich gern helfen. Aber bitte glaube mir, es ist besser so.“
„Komisch, offensichtlich weiß die ganze Welt genau, was das Beste für mich ist, ohne sich auch nur im Geringsten dafür zu interessieren, was ich davon halte.“ Miriams Wut und Frustration war unüberhörbar.
„Kind bitte. Manchmal geht es einfach nicht anders. Bitte glaube mir“, flehte Frau Mathies verzweifelt.
„Schön! Dann weiß ich ja wenigstes, was ich von ihm zu halten habe!“ Damit schmiss sie den Hörer auf die Gabel. Dieser Feigling! Er hatte sie in Wirklichkeit nicht geliebt. Ihre Eltern hatten sie auch nie geliebt. Niemand liebte sie. Und der einzige Mensch, der es vielleicht getan hätte, war tot.

 

Dagmar R. Rehberg